Im Jahr 2022 wird sich die Internationale Bauausstellung (IBA) Wien dem Thema „New Social Housing“ widmen. Während in der Stadt zahlreiche Projekte entwickelt werden, die neue Wege aufzeigen sollen, ist auch die Wohnforschung gefragt, einen Beitrag zu leisten. Ein kleiner Baustein in diesem Kontext ist das hochschulübergreifende IBA ResearchLab, das im Format einer Summer School einmal im Jahr internationale Gäste einlädt und Fragestellungen rund um die Zukunft des sozialen Wohnbaus behandelt (www.iba-researchlab.at).
Vom 16.- 23.9.2019 stand dieses Jahr die Suche nach dem „Sozialen“ im Sozialen Wohnbau im Mittelpunkt. Was charakterisiert das Soziale Wohnen eigentlich und unterscheidet dieses Marktsegment von anderen Formen des Wohnens? Nur auf den ersten Blick ist dies offensichtlich. Umfang, Grundlagen, Ziele und Rahmenbedingungen des Sozialen Wohnbaus variieren im Vergleich erheblich. Beispielsweise kann geförderter Wohnraum auf eng begrenzte Zielgruppen begrenzt sein, die auf dem freien Wohnungsmarkt benachteiligt sind (residuales Modell) oder auf die Versorgung einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht mit leistbarem Wohnraum zielen (universales Modell). Der in Österreich beschrittene Weg mit einem eigenen gemeinnützigen Wohnbausektor ist eher die Ausnahme als die Regel.
Das IBA ResearchLab näherte sich diesem Thema auf drei Wege. Insgesamt 16 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sowie Vertreter von Wohnbauprojekte aus Südamerika, Australien, Afrika, Asien und Europa präsentierten Ergebnisse ihrer Arbeit. Deutlich wurde bei aller Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Beispiele, dass informelle Strukturen vielerorts ein wichtiger Bestandteil des Wohnungsmarkts sind und für Personen mit geringem Einkommen oft die einzige Möglichkeit darstellen, ein Dach über dem Kopf zu sichern. Handlungsansätze bestehen u.a.
- in Selbsthilfe (informelle Siedlungen in der Türkei, Nepal, El Salvador, Brasilien), die seitens lokaler Politik entweder verhindert (Abriss von Gecekondus in Istanbul) werden oder als Ausgangspunkt für nachhaltige Lösungen unterstützt werden (Selbstbauprojekt in Kathmandu)
- in öffentlichem Wohnbau und Siedlungen, die oft peripher, schlecht ausgestattet und stigmatisiert sind (Venedig, Tel Aviv)
- durch Unterstützung des Zugangs zu Krediten und Immobilien, die klein und einfach ausgestattet sind (Türkei, Brasilien)
- in genossenschaftlichen und kooperativen Angeboten, die jedoch geringe Kapazität haben (EL Salvador).
Ein weiterer Aspekt, der in den Vorträgen angesprochen wurde, ist die begrenzte Kapazität von Kommunen, den Markt zu beeinflussen, vielmehr sind Tendenzen der Deregulierung und Finanzialisierung weit verbreitet.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Situation in Wien mit einem großen Mietsektor und signifikanten Anteilen an kommunalem und gefördertem bzw. gemeinnützigem Wohnraum als ein kaum zu erreichender Sonderweg dar. Aber wäre das Modell denn erstrebenswert? Und wo liegen seine Grenzen? Die Teilnehmenden betrachteten in Exkursionen und Gruppeninterviews die Lage vor Ort und brachten ihre Eindrücke dann in einen Vergleich mit der Situation in ihren Heimatregionen. Das Ergebnis war beeindruckend klar: Mit Blick auf den Zugang zu leistbarem Wohnraum waren die inklusiven Effekte von Wohnungslosenhilfe, Gemeindebau und auch die neue Widmungskategorie „geförderter Wohnbau“ offensichtlich. Dem stehen jedoch formelle Zugangsbarrieren wie auch diskriminierende Praktiken in der Wohnraumvermittlung entgegen, die auch hier prekäre und unwürdige Wohnsituationen, v.a. im privaten Segment, bewirken. Hervorgehoben wurde auch die weitreichende Bürokratie, Komplexität und Unübersichtlichkeit des Systems.
Diese Beobachtungen korrespondierten gut mit den Ergebnissen eines dritten Bausteins der Veranstaltung. In einem Symposium „Viennese Positions on…“ wurden etwa 20 VertreterInnen der bunten Wiener Landschaft der Wohnforschung gebeten, ihre Arbeitsbegriffe und Perspektiven auf die soziale Dimension des sozialen Wohnbaus vorzustellen. Die internationalen Gäste hörten aktiv zu und reflektierten die Kommentare anschließend. Die daraus entstandene Collage zeigt die Vielschichtigkeit der Wiener Modells. Kategorien, an denen sich die soziale Dimension messen ließe, sind v.a. Zugang und Leistbarkeit.
Hier schließt eine weitere Perspektive auf das Soziale an, die weniger die Verteilung und Kosten fokussiert als das Wohnen zum Ausgangspunkt von Gemeinschaftlichkeit nimmt. Gerade auch in neuen Stadtquartieren (besichtigt wurde Neu-Leopoldau) ist die Bedeutung des öffentlichen Raums für nachbarschaftliche Begegnungen evident. Die Teilnehmenden diskutierten, basierend auch auf ihren Forschungen, durchaus machtvolle Taktiken der Aneignung freier Flächen und die (Un-)Möglichkeit, eine gewisse Neutralität von Orten zu gewährleisten.
Welche und wessen Nutzungen sich durchsetzen ist ein nachbarschaftlicher Aushandlungsprozess. Dass darauf in Wien durch Ansätze wie Gebietsbetreuung und Besiedlungsmanagement schon früh geachtet wird, wurde durchwegs positiv gesehen, wenngleich sich einige unbeantwortete Fragen zur sozialen Kontrolle und Selektivität stellten.
Resümierend lässt sich festhalten, dass das Hinterfragen von Selbstverständlichkeiten auch in diesem Fall dazu beigetragen hat, den Blick zu schärfen. Für die IBA zeigten sich Stellschrauben – gerade an den Schnittstellen Formalität/Informalität, Öffentlichkeit/Privatheit, Haushalt/Gemeinschaft sowie Inklusion/Exklusion – über die weiter nachgedacht und mit experimenteller Praxis auch geforscht werden könnte.
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