Symposium 2019 – Wozu Wohnungsgemeinnützigkeit?

Welche Rolle spielen die Gemeinnützigen am Wohnungsmarkt und in der Stadtentwicklung? Und wie sieht ihre Zukunft aus? Diese und viele weitere Fragen haben ExpertInnen beim vwbf-Symposium erörtert. Einig waren sich alle, dass der gemeinnützige Wohnbau auch in Zukunft ein wichtiger Eckpfeiler des leistbaren Wohnens bleiben wird.

Am Donnerstag, 11.4., fanden sich zahlreiche ExpertInnen und Interessierte im Kloster UND in Krems zum Symposium des Vereins für Wohnbauförderung (vwbf) ein. Im Fokus der spannenden Vorträge lagen die Standortbestimmung und ein Ausblick für den gemeinnützigen Wohnbau. Im Anschluss an die Expertenvorträge bezogen hochrangige PolitikerInnen im Rahmen einer Podiumsdiskussion Position.

Die Aktualität der Veranstaltung angesichts der aktuellen Entwicklungen in Deutschland, wo es den Ruf nach der Enteignung großer Immobilienunternehmen gibt, hob der Obmann des vwbf, Dir. Markus Sturm hervor: „In Deutschland ist Wohnen zurzeit Thema Nummer Eins, wobei Wien gerne als Vorzeigebeispiel des leistbaren Wohnens herangezogen wird. Das verdanken wir zu einem großen Teil dem gemeinnützigen Wohnbau, dessen Wert unumstritten ist.“ So liegt der Anteil des gemeinnützigen und kommunalen Wohnbaus in Wien insgesamt bei fast 50 Prozent. In München vergleichsweise, beträgt dieser Anteil nur 10 Prozent, wie Mag. Thomas Ritt, Abteilungsleiter Kommunalpolitik in der AK Wien, ausführte. Das wirkt sich auf die Wohnkosten aus: Die durchschnittliche Miete beträgt in Wien 9,7 Euro pro m2, in München muss man im Schnitt gut das Doppelte, 18,8 Euro pro m2, bezahlen. Ritt: „Der gemeinnützige Wohnbau ist ein wichtiger Eckpfeiler des leistbaren Wohnens, der auch auf das Mietniveau des gewinnorientierten Wohnbaus dämpfend wirkt. Außerdem bietet er – auch auf Grund von Förderungsvorgaben – eine hohe Wohnqualität. Ein weiterer großer Pluspunkt sind unbefristete Mietverträge, die man im marktmäßigen Wohnsektor kaum noch bekommt.“

Solidarische vs. marktorientierte Wohnpolitik

Dass die Gemeinnützigen in Österreich außer Frage stehen, zeigen die Zahlen aus einer Gallup-Umfrage: 90 Prozent der ÖsterreicherInnen messen dem gemeinnützigen Wohnbau eine hohe Bedeutung für das heimische Wohnungswesen zu und 86 Prozent geben an, dass leistbares Wohnen wichtig ist. Dr. Bernd Riessland, Generaldirektor-Stellvertreter der SOZIALBAU AG, ist sicher: „Die Wohnbaupolitik muss die Menschen in den Mittelpunkt stellen.“ So stellte Riessland in seinem Vortrag die solidarische Wohnpolitik der marktgetriebenen gegenüber. Größter Unterschied: Die solidarische Wohnpolitik der Gemeinnützigen basiert auf einer kostendeckenden Wohnkalkulation und längeren Refinanzierungszeiträumen, die zusammen deutlich günstigere Mieten ermöglichen.  Die marktgetriebene Wohnpolitik zielt auf Gewinnmaximierung ab, erklärte Riessland, und stellte in Zweifel, dass das Wohnen das geeignete Instrument dafür ist. „Das Marktmodell stellt Wohnraum für Leistungsfähige zur Verfügung, während zum solidarischen gemeinnützigen Wohnmodell breite Bevölkerungsschichten Zugang haben.“

Einen Blick in die Schweiz gewährte Dr. Christian Portmann, Präsident der Wohnbaugenossenschaften Regionalverband Zürich: „Gemeinnütziger Wohnbau ist wichtig für die Balance in der Gesellschaft. Er ist energetisch, funktional und bedarfsgerecht.“ Angesichts des demografischen Wandels werden in Zukunft immer mehr Einpersonenhaushalte entstehen, ist Portmann sicher und meinte: „Wir müssen heute die Weichen für morgen stellen und das passende Wohnungsangebot schaffen.“ Als besondere Herausforderung für den gemeinnützigen Wohnbau in der Schweiz ortete der Präsident der Zürcher Wohnbaugenossenschaften die Bodennutzung, die eine enge Abstimmung zwischen der Liegenschaftspolitik und Stadterneuerung erforderlich macht.

Wichtige Rolle des gemeinnützigen Wohnbaus

Die soziale Rolle des gemeinnützigen Wohnbaus beleuchtete Univ. Prof. Dr. Simon Güntner, Fachbereichsleiter Soziologie am Department für Raumplanung der TU Wien: „Die Auswirkungen des Mietwahnsinns sieht man in Deutschland. Sind Institutionen wie die Gemeinnützigen einmal abgeschafft, ist es nicht einfach, sie wieder einzuführen. Dabei hat leistbares Wohnen einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag. Es sorgt für soziale Sicherheit und Zusammenhalt. Abgesehen davon hat leistbares Wohnen auch positive Effekte auf die Volkswirtschaft, indem es etwa den Konsum ankurbelt, da am Ende des Monats mehr Geld in der Börse für Konsumausgaben bleibt.“

Auch MR Dr. Andreas Sommer, Abteilungsleiter Wohnrecht, Wohnungswirtschaft und Wohnungspolitik im Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaft, zeigte sich überzeugt, dass der gemeinnützige Wohnbau positive Effekte für die Gesellschaft hat. Er referierte über die Grundsätze und historischen Wurzeln sowie die Reform der Wohnungsgemeinnützigkeit.

WGG-Novelle noch vor dem Sommer

In der Podiumsdiskussion meinte Nationalratsabgeordneter Johann Singer, Bautensprecher der ÖVP: „Die Gemeinnützigen sind ein wesentlicher Bestandteil der Wohnungswirtschaft. Das wird sich auch in der Novelle des WGG, die wahrscheinlich noch vor dem Sommer beschlossen wird, widerspiegeln.“ So wird in der Novelle zum Beispiel dem Revisionsverband eine noch wichtigere Rolle als bisher zukommen. FPÖ-Bautensprecher und Nationalratsabgeordneter Mag. Philipp Schrangl ergänzte: „Wir bekennen uns zum leistbaren Wohnen und haben die Bedeutung der Gemeinnützigen erkannt. Wir wollen den Sektor ganz klar gegen Spekulanten absichern.“ Nationalratsabgeordnete Mag. Ruth Becher, Bautensprecherin der SPÖ: „Wir wünschen uns, dass es künftig einen Eintrag im Grundbuch gibt, damit gemeinnütziger Wohnbau auch nach Weitergabe der Wohnung gemeinnützig bleibt.“ Prof. Mag. Karl Wurm, Obmann des Österreichischen Verbandes gemeinnütziger Bauvereinigungen, mahnte abschließend: „Wir müssen aufpassen, dass das WGG auch in Zukunft nicht ausgehöhlt wird. Der gemeinnützige Wohnbau steht auf einem soliden Fundament. Das muss auch so bleiben.“

Programm

Eva Hollerer, Vizebürgermeisterin Stadt Krems -Begrüßung
Dir. Markus Sturm, Obmann vwbf – Einleitende Worte

Mag. Thomas Ritt Wohnraum für alle? Standortbestimmung und Strategien
Abteilungsleiter Kommunalpolitik, Arbeiterkammer Wien

Dr. Bernd Riessland Wohnungsgemeinnützigkeit – altes Eisen oder Zukunftsinstrument?
Generaldirektor-Stellvertreter SOZIALBAU AG

Christian PortmannWohnungsgenossenschaften in der Schweiz – Entwicklungen und Herausforderungen
Präsident Wohnbaugenossenschaften Regionalverband Zürich

MR Dr. Andreas Sommer Regelwerk WGG – Reform und Wirkungen
Abteilungsleiter Wohnrecht, Wohnungswirtschaft und Wohnungspolitik, Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaft

Univ.-Prof. Dr. Simon GüntnerGemeinwohl. Gemeingüter. Wohnen Fachbereichsleiter Soziologie, Department für Raumplanung TU Wien

Podiumsdiskussion:

vwbf Symposium 2019


Mag. Ruth Becher, Abgeordnete zum Nationalrat, Bautensprecherin SPÖ
Johann Singer, Abgeordneter zum Nationalrat, Bautensprecher ÖVP
Mag. Philipp Schrangl, Abgeordneter zum Nationalrat, Bautensprecher FPÖ
Prof. Mag. Karl Wurm, Obmann Österreichischer Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen GBV

Bildnachweis: vwbf und vwbf.

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