Rotes Wien – quo vadis?

von Dr. Kurt Stürzenbecher

Rotes Wien

„Mehr Markt oder Staat“ lautet die sehr ideologiegetränkte Frage dieser Veranstaltung. Das Wiener Modell in der Wohnungspolitik ist eine sehr pragmatische Antwort auf eine Ideologiefrage, die nur zum Teil eine ideologische ist. Der Konflikt ist vielschichtig und es gibt unterschiedliche Konfliktlinien. Manche sind relativ banal wie, dass leistbares Wohnen besonders ein Thema der jungen, mobilen StädterInnen und in Österreich insbesondere der jungen WienerInnen ist. Bei Älteren spielt die Frage schon auch insbesondere bei Ereignissen wie Scheidung oder Todesfall eine wesentliche Rolle.

In Wien wohnen 78% der Bevölkerung in Mietwohnungen, während es in anderen Bundesländern nur zwischen 20-37% sind. Deshalb ist Wien besonders betroffen und wäre auch besonders an einer Verbesserung des Mietrechtsgesetzes interessiert.

 

Während Bestandsmieten in Wien im Gemeindebau oder auch im geförderten Wohnbau nur sehr moderat steigen, und MieterInnen dort, wo sie unter dem Schutz des geltenden Mietrechts stehen, noch zu günstigen Mieten wohnen, sind vor allem jüngere Menschen, die zuziehen oder öfters umziehen, mit sehr starken Mietsteigerungen konfrontiert. Durch die starke Zunahme von befristeten Mietverträgen am freien Wohnungsmarkt ergeben sich häufig hohe Nettomieten dort, wo (kürzere) Befristungen Platz greifen.


Wirtschaftsliberale

Leistbares Wohnen versprechen sowohl „Wirtschaftsliberale“, als auch „Etatisten“, nur die Wege dorthin sind verschieden. Die Wirtschaftsliberalen gehen davon aus, dass durch Deregulierung letztlich der Wohnungsneubau beflügelt würde und ein höheres Angebot die Preise wieder sinken ließe. Dafür gibt es allerdings keine empirische Evidenz. Überall dort, wo sich der Staat aus der Wohnungspolitik zurückgezogen hat, etwa durch den Verkauf von Sozialwohnungen, Liberalisierung des Mietrechts etc. sind die Mieten sehr viel höher und es wird auch viel weniger gebaut. Ein liberales Mietrecht bringt keine hohe Wohnbauproduktion.

Es besteht kein Zusammenhang zwischen Mietpreisniveau, Wohnbauleistung und Zuzug. Der Markt reagiert nicht auf Nachfrage bzw. nur auf lukrative Segmente der Nachfrage wie Eigentum. So sind die Nettokaltmieten am freien Wohnungsmarkt in Wien und Berlin relativ moderat, während sie in München und Hamburg deutlich höher sind.

Die Mieten im sozialen Wohnbau in Wien, zu denen die Gemeindebauten und die geförderten Wohnbauten zählen, sind ohnehin deutlich niedriger.

Wien weist die mit Abstand höchste Fertigstellungsrate auf – und zwar 499 Wohneinheiten pro tausend Personen. In vergleichbaren deutschen Städten werden trotz deutlich liberalerem Mietrecht, weniger gefördertem Wohnbau und mehr freifinanziertem Wohnbau nicht annähernd so viele Wohnungen produziert wie in Wien.


Etatisten

Bei den „Etatisten“ können zwei Typen unterschieden werden, erstens die, die den privaten Sektor regulieren (Mietregulierungen) und zweitens die, die einen öffentlichen Sektor aufbauen – durch geförderten Wohnbau. Wien bedient sich stark des geförderten öffentlichen Wohnbaus und es spricht die empirische Evidenz dafür, dass sich „viel Stadt“ positiv auf das Mietpreisniveau und die Wohn- und Lebensqualität auswirkt.

Das Wiener Modell ist eine pragmatische Antwort auf eine Ideologiefrage. Das Wiener Modell, welches natürlich von der Stadt gesteuert wird, hat sich bewährt. Es zeigt die empirische Evidenz, dass der „Staat“, wenn er nur will, die Wohnungsfrage lösen kann. Der „Markt“ hingegen ist dazu offensichtlich nicht in der Lage, zumindest ist die Wohnraumversorgung in Städten, in denen der Staat sich vom sozialen Wohnbau verabschiedet hat, deutlich schlechter als in Wien.

Wenn man der Auffassung folgt, dass Wohnen ein Grundrecht ist, sind folglich auch staatliche Eingriffe grundsätzlich gerechtfertigt, damit angemessenes Wohnen für alle möglich ist.

Wiener Modell

Unterschiedliche Auffassungen gibt es bei der Definition der Zielgruppe. Der Wiener Weg ist hier ein breiter Zugang – rund 75% aller WienerInnen haben grundsätzlich Zugang zum sozialen Wohnbau, bei einem sozialen Wohnungsbestand von rund 50%. Dabei gibt es eine Differenzierung innerhalb des Segments des sozialen Wohnbaus – soziale Wohnungsvergabe, Gemeindebau, SMART-Wohnungen, Superförderung etc.

Die Auffassung von Wirtschaftsliberalen ist, dass nur die, „die es wirklich brauchen“, im sozialen Wohnbau wohnen sollen. Alle anderen sollen sich am freien Markt versorgen. Die Logik ist nur am ersten Blick klar und nachvollziehbar: Die Mittelschicht (zweites und drittes Einkommensquartil) ist (noch) breit und ist als Kunde attraktiv. Folglich lässt sich mit der Mittelschicht gutes Geld verdienen, denn Reiche gibt es wenige, mit Armen lässt sich nichts verdienen und deshalb zielt der freie Markt genau auf diese Klientel.

Alle Hürden (Einstiegshürden, Einkommenskontrollen etc.), die aufgebaut werden sollen, haben zum Ziel, den sozialen Wohnbau für die Mittelschicht unattraktiv zu machen und zusätzliche Nachfrage für den freien Markt zu generieren. Warum soll aber der soziale Wohnbau auf diese attraktiven MieterInnen verzichten? Nur damit attraktive Anlagemöglichkeiten für das Kapital geschaffen werden? Damit die Verteilung der Vermögen noch ungleicher wird?

Das Gerechtigkeitsargument der Neoliberalen ist ein Scheinbares und lautet: Es ist ungerecht, wenn jemand in einer geförderten Wohnung wohnt, sich aber auch eine freifinanzierte leisten könnte. Weil er nähme dadurch ja jemandem eine leistbare Wohnung weg. Es lässt sich aber nicht am Einzelfall (eventuell an einem Missbrauchsfall) ein gesamtes Instrument diskutieren. Es gilt hier das „große Ganze“ im Blick zu haben.

Bei geförderte Einfamilienhäusern am Land (bzw. bei der von konservativer Seite oft geforderten Eigentumsförderung) verlangt niemand, dass – wenn das Einkommen steigt – die Familie aus dem Einfamilienhaus ausziehen müsse.

Mittelschichtorientierung

Wir wollen in Wien MieterInnen dieselbe Sicherheit geben wie Menschen, die sich am Land ein Einfamilienhaus bauen. Warum soll es bei einem so wichtigen Lebensbereich einen Unterschied zwischen Mittelschichtsfamilien am Land und in der Stadt geben? Die Mittelschicht, die derzeit (Bruttolohnsumme!) erheblich zur Finanzierung der geförderten Mietwohnungen beiträgt, soll auch etwas vom sozialen Wohnbau haben.

Darüber hinaus profitieren auch einkommensschwächere BewohnerInnen davon, wenn in ihrer Wohnhausanlage Menschen mit durchschnittlichem Einkommen wohnen. Die soziale Durchmischung bringt für alle eine bessere Wohnqualität.

Je strenger der Zugang zu sozialem Wohnbau gemacht würde, desto unattraktiver wird dieser für die Mittelschicht und desto eher verschwindet er als „sozialpolitisches Instrument“, da es an Zustimmung der breiten Masse fehlt.

Was ist leistbares Wohnen und welches Geschäftsmodell funktioniert?

Leistbares Wohnen in Wien bedeutet, dass maximal ein Drittel des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens für das Wohnen ausgegeben wird (Miete, Betriebskosten, Strom, Heizung etc.). Wenn man auch vor allem die alten Gemeindebauten mit dazuzählt, dann zahlt man in Wien im Durchschnitt überhaupt nur 21% des Nettoeinkommens für Wohnzwecke.

Die Wohnkosten für einen Mittelschichtshaushalt (25-75% = zweites und drittes Einkommensquartil) belaufen sich zwischen 700 und 1.300 Euro pro Monat für eine 70-110 m2 große Wohnung. Das entspricht einer Warmmiete von maximal 10 Euro brutto pro m² und Monat.

Im Vergleich zwischen gefördertem und freifinanziertem Wohnbau zeigt sich, dass sich die Annuität und folglich auch die Rückzahlung (Nettokaltmiete ohne EVB, Betriebskosten, Steuer, Strom und Heizung) aufgrund der längeren Laufzeit und der geringeren Renditeerwartung (Landesdarlehen, geringe Eigenmittelverzinsung etc.) im geförderten Modell auf die Hälfte der freifinanzierten Variante beläuft. Leistbares Wohnen für die Mittelschicht gibt es demnach nur im geförderten Wohnbau.

Der Zugang zum geförderten Wohnbau für die Mittelschicht wird über hohe Einkommensgrenzen ermöglicht und die Nachfrage nach gefördertem Wohnbau der Mittelschicht wird über die Langfristigkeit (langfristige und sichere Verträge), faire Preise und die Qualität bestimmt.

Leistbarer Wohnraum wird in den Städten nicht wegen der Urbanisierung knapp, sondern weil zu wenig gebaut wird. Urbanisierung ist ein Phänomen, eine Rahmenbedingung, ein Megatrend, auf den es angemessen zu reagieren gilt. Nicht die Urbanisierung treibt die Mietpreise in die Höhe, sondern dass nicht oder zu langsam auf diese neue Rahmenbedingung reagiert wird.

Der Grund, dass in manchen Städten zu wenig gebaut wird, liegt einzig darin, dass es von vielen Städten verabsäumt wurde, eine aktive Wohnungspolitik zu betreiben. Dort war man sich einig, dass „wenn es eine Nachfrage gibt, dann regelt der Markt schon alles von allein“. Doch genau das ist nicht der Fall.

Daher: mehr sozialer Wohnbau ist nötig und auch eine Bevorzugung des sozialen Wohnbaus, der auch ein Standortfaktor ist.

Dr. Kurt Stürzenbecher

Landtagsabgeordneter

Vorsitzender Ausschuss für Wohnen,

Wohnbau und Stadterneuerung

Bildnachweis: vwbf und Shutterstock.

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