Andreas Novy, Leonhard Plank
Die Covid-19 Pandemie hat sichtbar gemacht, dass es verschiedene Wirtschaftsbereiche gibt. Manche wirtschaftlichen Aktivitäten sind wichtiger als andere, da sie tagtäglich die Grundversorgung sichern. Diese als „systemrelevant“ eingestuften Bereiche der Wirtschaft mussten auch am Höhepunkt der Pandemie weiterhin funktionieren. Es sind dies die Bereiche, die tagtäglich nachgefragt werden und die die soziale und materielle Infrastruktur des zivilisierten Lebens ausmachen.
Der Fokus auf diejenigen wirtschaftlichen Aktivitäten, die Lebensgrundlage sichern, holte auch die bis dahin geringeschätzten „Heldinnen des Alltagslebens“ vor den Vorhang. Diese gewährleisten häufig unbemerkt und fast immer unterbezahlt die Voraussetzungen funktionierenden Alltagslebens. Zurecht rückten daher Kassiererinnen und Spitalspersonal ins Rampenlicht und lösten die wirtschaftliche Elite ab, die sich in gesicherte Bereiche zurückziehen konnte, während andere den „Laden am Laufen “ (Angela Merkel) hielten.
Damit zeigen sich die Grenzen der marktradikalen Wirtschaftsordnung: Leistungen „für alle“ durch öffentliche bzw. kollektive Bereitstellung – sei es von Gesundheitsdiensten, Pflege oder Wohnen – zu organisieren, hat Vorzüge gegenüber Ansätzen, bei denen die Befriedigung von Grundbedürfnissen primär von der individuellen Zahlungsfähigkeit von Marktsubjekten abhängt.
Damit eröffnete die Pandemie in kurzer Zeit einen neuen Blick auf Wirtschaft, Arbeit und Leistung. Es wäre daher ein großer Fehler – wie dies nach der globalen Finanzkrise 2008 geschah – zu „business as usual“ zurückzukehren. Es ist notwendig, aus dem Wirtschaften in der Pandemie für zukunftsfähiges Wirtschaften nach der Pandemie zu lernen.
In dieser Hinsicht ist das Konzept der „Ökonomie des Alltagslebens“ mit seinem neuen Verständnis von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik hilfreich. Es wurde vom Foundational Economy Collective einem Zusammenschluss europäischer WissenschafterInnen in den letzten Jahren entwickelt, und unterstreicht die grundlegende (foundational) Rolle einer Reihe von wirtschaftlicher Aktivitäten der Daseinsvorsorge und Nahversorgung. Wir sprechen von einem grundversorgungsorientierten (foundational) Ansatz der Alltagsökonomie. Sie macht uns und unsere Wirtschaften produktiv und zu BürgerInnen einer politischen Gemeinschaft mit Rechten und Pflichten.
Bereits in den ersten Wochen der Pandemie hat das Foundational Economy Collective ein Manifest mit einem Zehn-Punkte-Programm für die Zeit nach der Pandemie erarbeitet. Dieses reicht von Stärkung der öffentlichen Gesundheitsversorgung und Pflege über die Schaffung von leistbarem und ökologisch nachhaltigem Wohnraum bis zur Ökologisierung und stärkeren Lokalisierung der Lebensmittelversorgung.
Bei der Umsetzung dieses Programms kommt der lokalen Ebene eine zentrale Rolle zu. Nicht zuletzt im deutschsprachigen Kontext sind Städte und Gemeinden verantwortlich für eine Reihe von Daseinsvorsorgeleistungen sowie die Sicherstellung einer funktionierenden, die Grundversorgung gewährleistende Nahversorgung. Voraussetzung für einen derartigen zukunftsfähigen Umbau der Wirtschaft ist eine Abkehr von außenorientierten Wirtschaftsstrategien, wie etwa der unternehmerischen Stadt oder der nationalen Wettbewerbsfähigkeit. Statt einseitig auf einen bestimmten Typus von privaten Kapitals und wirtschaftliche Sektoren (Immobilien, Finanz) zu setzten, die einzig Renten abschöpfen, die von anderen Wirtschaftsbereichen erwirtschaftet wurden, braucht es eine verstärkte Aufmerksamkeit für die vor Ort nachgefragten Alltagsgüter und Dienstleistungen. Die schließt insbesondere auch Wohnen und die Gestaltung des Wohnumfeld mit ein.
Dabei wird die Rolle des Öffentlichen Sektors anders definiert: Im Leitbild der „unternehmerischen Stadt“ beschränkt sich der Lokalstaat auf die Schaffung „optimaler Rahmenbedingungen“ für (bestimmte) private Investoren und Unternehmen. Im Gegensatz dazu setzt ein grundversorgungsorientierter Ansatz auf einen „unternehmerischen Munizipalismus“, d.h. ein gestaltendes und aktives Intervenieren der Öffentlichen Hand, die selbst Leistungen erbringt oder jedenfalls stark regulierend und finanzierend eingreift. Aber auch lokal verankerten privaten Akteure sowie intermediären Institutionen der Zivilgesellschaft kommt eine wichtige Rolle zu.
In diesem Zusammenhang sind die gemeinnützigen Wohnbauträger gefragt. Ihre Geschäftsmodell basiert auf einem anderen, ganzheitlichen und langfristigen ökonomischen Denken im Sinne des grundversorgungsorientierten Ansatzes. Damit unterscheiden sie sich als Alternativ-Modell von der aktuell vorherrschenden marktliberalen Logik, die kurzfristige Gewinnmaximierung im Interesse der Eigentümer als oberste Richtschnur hat.
Ähnlich wie Stadtwerke sind gemeinnützige Wohnungsunternehmen wichtige stabile Anker in dieser Grundversorgungsökonomie und können neben ihrer Kernaufgabe – die Bereitstellung von leistbarem Wohnraum – eine wichtige Rolle bei der Sicherung lokalen Wohlstands spielen. Dies könnte etwa durch stärkere Berücksichtigung von sozial-ökologischen Kriterien bei den Beschaffungsprozessen von Wohnbauträgern erfolgen. Darüberhinaus können sie auch über ihre lokale Verankerung in die Nachbarschaften und Grätzel hinein wirken, und hier wichtige Stützen für das Gute Leben vor Ort werden. Das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz setzt hier bisher zwar enge Grenzen (Stichwort: konnexe Zusatzgeschäfte), aber auch innerhalb dieser können Gemeinnützige neue Akzente setzen und so einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Ökonomie des Alltagslebens leisten.
Andreas Novy ist Professor am Department für Sozioökonomie sowie Leiter des Institute for Multi-Level Governance and Development an der WU und Präsident der International Karl Polanyi Society.
Leonhard Plank arbeitet als Senior Scientist am Forschungsbereich Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik im Institut für Raumplanung der TU Wien und ist Teil des Foundational Economy Collective.