Investitionen gegen die Covid-Krise

Markus Marterbauer leitet die Wirtschaftswissenschaft in der Arbeiterkammer Wien, Blog: https://awblog.at/author/markusmarterbauer/, Twitter: @MarterbauerM

Die von der Covid-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise bringt im Jahr 2020 den stärksten Einbruch der österreichischen Wirtschaftsleistung seit 1945. Aktuelle Prognosen lassen einen Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts um 5% bis 10% erwarten. Doch selbst dieser markante Einbruch wirft nüchtern betrachtet die Wertschöpfung an Gütern und Dienstleistungen nur auf das Niveau von Mitte 2016 bzw. 2013 zurück und niemand wird behaupten, dass es Österreich wirtschaftlich in diesen Jahren besonders schlecht gegangen sei. Das zentrale Problem der Covid-Krise liegt weniger im allgemeinen Rückgang von Wertschöpfung und Einkommen, sondern in der Konzentration der Lasten auf drei soziale Gruppen:

  • Arbeitslose verlieren netto fast die Hälfte ihres Einkommens. Im Durchschnitt der Monate März bis Mai lag die Zahl der Arbeitslosen um 200.000 höher als im Jahr zuvor, im Jahresdurchschnitt 2020 dürfte der Anstieg zwischen 50.000 und 80.000 liegen, für 2021 droht eine weitere Zunahme.
  • Für viele Ein-Personen-Unternehmen und kleine Selbständige sind die Umsätze und Einkommen seit März auf null zurückgegangen, sie stehen vor dem Konkurs.
  • Kinder mit bildungsfernem Hintergrund leiden unter Schulschließungen, für jugendliche BerufseinsteigerInnen verschlechtern sich die Arbeitsmarktchancen drastisch, es droht eine verlorene Generation.

 In der unmittelbaren Reaktion auf die Covid-Rezession zeigten sich die Wirtschaftspolitik in der EU und Österreich pragmatisch und flexibel: Die EZB legte sofort ein 750 Mrd. Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) auf, die Europäische Kommission setzte die restriktiven Fiskalregeln aus und die österreichische Regierung weitete ihre Hilfsprogramme schrittweise bis auf 38 Mrd. Euro aus. Sie tragen wesentlich zu einer kurzfristigen Stabilisierung der Wirtschaft bei. Dennoch ist eine rasche Erholung der Konjunktur in Form eines „V“ recht unwahrscheinlich und die Covid-Krise droht mittel- und langfristig schwerwiegende negative soziale und wirtschaftliche Wirkungen zu haben.

Um diese so gering wie möglich zu halten, sind dringend Weichenstellungen notwendig. Unmittelbar gilt es, die Zahl der Arbeitslosen so rasch wie möglich wieder auf das Niveau von 2019 zu bringen. Arbeitslosigkeit, die länger als sechs Monate dauert, erhöht nicht nur die Armutsgefährdung der Betroffenen drastisch, sondern verringert auch das Produktionspotenzial der Wirtschaft und damit die wirtschaftliche Erholung. Deshalb müssen sofort zusätzliche Maßnahmen beschlossen werden:

  • Aufstockung des AMS-Personals um 500 Personen, um Vermittlung von Arbeitslosen auf offene Stellen zu intensivieren und zusätzliche Qualifizierungsprogramme zu organisieren.
  • Jugendausbildungsprogramm: Aufstockung der Stellen in überbetrieblichen Lehrwerkstätten, weiterführenden Schulen, Fachhochschulen u.a. um mehrere 10.000 noch in diesem Herbst.
  • Qualifizierungs- und Umschulungsprogramme für Arbeitslose aus wenig aussichtsreiche Branchen wie dem Tourismus zugunsten von Berufen in Gesundheit, Pflege, Bildung, Technik.
  • Kommunale oder gemeinnützige Beschäftigung für Langzeitarbeitslose.

Eine unbürokratische und rasche Abwicklung der Hilfen aus dem Härtefallfonds für Kleinunternehmen ist für Betroffenen essentiell, aber auch für die Gesamtwirtschaft wichtig: Während viele Großunternehmen hohe Liquidität haben um die Krise durchzutauchen, ist das bei vielen Kleinunternehmen nicht der Fall. Gehen sie wegen mangelnder Liquidität in Konkurs, so geht Produktionspotential verloren und der Konzentrationsprozess in der Wirtschaft schreitet weiter voran. In der Krise zeigt sich allerdings auch, dass die prekäre wirtschaftliche Situation kleiner Selbständiger nicht über Almosen, sondern besser über einen solidarischen und leistungsgerechten Versicherungsschutz auf Basis von Beiträgen wie im Arbeitslosengesetz begegnet werden sollte.

Arbeitslosenversicherung und Kurzarbeit, Spitäler und Gesundheitssystem, Altenbetreuung und Pflegesystem, alle soziale Dienstleistungen und Sozialversicherungssysteme beweisen in dieser Krise einmal mehr die Überlegenheit des österreichischen Sozialstaates gegenüber dem anderer EU-Länder ebenso wie gegenüber privaten Alternativen. Ein funktionierender Sozialstaat und eine hohe Sozialquote, ermöglicht durch eine hohe Abgabenquote, halten das Land auch wirtschaftlich an der Spitze. Den Sozialstaat gezielt weiter zu verbessern, sollte eine der Lehren der Krise sein. Das Gesundheitssystem braucht mehr Vorsorge, das Pflegesystem mehr Leistungen und bessere Arbeitsbedingungen in mobilen und stationären Diensten, Kindergärten und Schulen eine ganztätige Öffnung, die Armutsbekämpfung endlich konkrete Maßnahmen durch Ausbau von Geld- und Sachleistungen. Jede Milliarde an Zusatzausgaben für soziale Dienste stärkt nicht nur das solidarischere Österreich, sondern schafft auch 25.000-40.000 neue Jobs. Diese besonders beschäftigungsintensiven Dienstleistungen sollten einen Kern eines dringenden Investitions- und Beschäftigungsprogrammes bilden.

Einen zweiten Kern des Investitions- und Beschäftigungsprogrammes sollte das möglichst umfangreiche Vorziehen von ohnehin notwendigen Investitionen gegen die Klimakrise bilden, etwa in der öffentlichen Nah- und Regionalverkehrs- sowie Radinfrastruktur, in thermische Sanierung und sozialen Wohnbau, in Ausbau von Photovoltaik und Wasserkraft. Je sozialer und grüner ein Konjunkturpaket ist, desto wirtschaftlich sinnvoller. Gemeinden und Städte müssen bei Investitionen in soziale Dienstleistungen und Klimaschutz eine tragende Rolle spielen, sind aber durch Einnahmenausfälle von bis zu 2 Mrd. Euro in ihrer wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Deshalb sind ein vom Bund finanzierter kommunaler Klimainvestitionsfonds, der Ausbau sozialer Dienste und die Ermöglichung der Verschuldung der Kommunen zu besten Zinskonditionen sinnvoll.  

Die negative effektive Verzinsung der Staatsschuld spart uns Milliardenbeträge. Es ist für die ökonomische Stabilität der EU und damit auch für jene Österreichs essentiell, diesen Zinsvorteil allen Mitgliedsländern zu eröffnen. Deshalb ist der European Recovery Plan der Europäischen Kommission so sinnvoll, der eine EU-Verschuldung in Höhe von 750 Mrd. Euro vorsieht und diese Mittel in Form von Zuschüssen und Krediten an die Mitgliedsländer für Investitionen in Gesundheitssystem, Klima und den Wiederaufbau des Kontinents weitergibt.

Die Bewältigung von COVID ist nur mit Solidarität möglich: Solidarität zwischen Gesunden und Kranken, Beschäftigten und Arbeitslosen, Jungen und Alten, wirtschaftlich Starken und Schwachen, im Sozialstaat, aber auch über die nationalen Grenzen hinaus. Die Lasten der Krise dürfen nicht Kinder und Jugendliche, kleine UnternehmerInnen und Arbeitslose tragen, die Last kann auf die breiten Schultern der wirtschaftlich Starken übertragen werden. Die Lasten gerecht zu verteilen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Wirtschaftspolitik.

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