Entsteht in Österreich gerade eine „Generation Miete“?

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Österreich ist bekannt für seine Behäbigkeit. Oft kommen die internationalen Trends hierzulande erst mit Verspätung an. Ein Blick über die Grenzen kann daher auch ein Blick in die Zukunft sein.


Beim Wohnen ist England ein Land, in dem internationale Trends oft ihren Ausgang nehmen. In den letzten Jahren wird dort viel über den Aufstieg einer „Generation Miete“ diskutiert. Der Terminus beschreibt, dass immer mehr junge und mittelalte Menschen vom Wohnungseigentum ausgeschlossen bleiben und sich auf den prekären privaten Mietmarkt verlassen müssen.

Eine aktuelle Studie untersucht nun die Entwicklung der Wohnungseigentumsquote für unterschiedliche Altersgruppen in Österreich. Und zeigt, dass sich auch hierzulande die Dinge ändern. Der Anteil an Haushalten, die im Eigentum wohnen ist insgesamt relativ stabil. Innerhalb des letzten Jahrzehnts ist er von 50% auf 49% gesunken. Haushalte mittleren Alters (35-49 Jahre) wohnen allerdings deutlich seltener im Eigentum. 2010 waren es 55%. 2020 50%. Ein Rückgang um 5 Prozentpunkte. Gleichzeitig ist der Anteil an Haushalten dieser Altersgruppe, die privat mieten, um 7 Prozentpunkte gestiegen. Sehen wir also auch in Österreich erste Anzeichen einer „Generation Miete“?

Dagegen lassen sich drei Dinge einwenden. Erstens ist der private Mietmarkt in Österreich, trotz aller Deregulierungen der letzten Jahrzehnte, wesentlich weniger prekär als der englische. So gibt es umfangreiche Regeln für die Festsetzung der Miethöhe bei Mietvertragsabschluss und für die Mieterhöhung. In England nicht. Auch der Kündigungsschutz ist in Österreich wesentlich größer. Mieter:innen ohne lange Vorlaufzeit zu kündigen ist damit deutlich schwieriger als in England. Die Benachteiligung in Form der Wohnbedingungen, die durch privates Mieten entstehen, sind also viel geringer als in England.

Zweitens fokussiert der Terminus „Generation Miete“ auf einen dualen Wohnungsmarkt, bei dem es um eine Wahl zwischen Wohnungseigentum auf der einen Seite und privater Miete auf der anderen Seite geht. Was damit übersehen wird sind weitere Alternativen, insbesondere der soziale Wohnungsbau. In Österreich ist dieser noch merklich relevanter als in England. So wohnen hierzulande fast ein Viertel aller Haushalte zur sozialen Miete. In England sind es nur rund 16%, wobei die Wohnbedingungen in diesen Wohnungen, etwa betreffend der Miethöhe, häufig weniger gut sind als in Österreich.

Drittens ignoriert der Terminus wesentliche Unterschiede im Verhältnis von Wohnungseigentum und Sozialsystem zwischen Österreich und England. „Generation Miete“ wird in England nicht zuletzt deshalb als Problem gesehen, da Wohnungseigentum eine Alternative zu staatlichen Pensionsleistungen darstellt. Haushalte sollen sich Eigentum als ein „asset“ schaffen, mit dem sie fehlende staatliche Leistungen im Alter finanziell ersetzen können. Das unterscheidet sich zu Österreich, wo Wohnungseigentum, zumindest bislang, eine wesentlich geringere Rolle in der sozialpolitischen Diskussion über Pensionsreformen spielt und auch staatliche Pensionsleistungen umfangreicher sind als in England.

Den Terminus „Generation Miete“ für den österreichischen Kontext zu übernehmen würde also heißen, dass wir fälschlicherweise auch eine Reihe damit verbundener Eigenschaften des englischen Wohnungssystems generalisieren, die für Österreich in dieser Form nicht zutreffen. Nichtsdestotrotz zeigen die eingangs zitierten Statistiken, dass sich auch in Österreich die Relevanz von Wohnungseigentum für bestimmte Altersgruppen verändert. Eine alleinige Fokussierung auf Alter bzw. Generationen geht dabei aber nicht weit genug. Denn Generationen sind miteinander verbunden. Das zeigt auch die oben genannte Studie. Rund 64% aller Haushalte mit Wohnungseigentum in Österreich haben ein Erbe bzw. eine Schenkung von ihren Eltern erhalten. Ungleichheit zwischen Generationen wird also von Ungleichheit innerhalb von Generationen überlagert. Passend dazu zeigt die Studie, dass die Eigentumsquote für jüngere, ärmere Haushalte gesunken ist, während sie für jüngere, reichere Haushalte gestiegen ist. Die Bruchlinien verlaufen also nicht lediglich zwischen jüngeren und älteren Generationen, sondern vor allem zwischen jüngeren ärmeren und jüngeren reicheren Gruppen.

Dieser Befund deckt sich mit der insgesamten Verteilung von Wohnungseigentum in Österreich. In der unteren Hälfte der Vermögensverteilung besitzen laut Auswertungen der Österreichischen Nationalbank nur 8% der Haushalte die Immobilie in der sie wohnen. In der oberen Hälfte sind es mehr als 86%. Aus Verteilungsperspektive mag das als Problem gesehen werden. Es ist aber auch mit ein Ausdruck des umfangreichen sozialen Wohnungsbaus, auf den sich viele Haushalte mit weniger Vermögen in Österreich verlassen können. Die guten Wohnbedingungen, die dort geboten werden, führen dazu, dass die Notwendigkeit eine Immobilie anzuschaffen weniger stark ausgeprägt ist. Das zeigt sich auch in der vergleichsweise geringen Einlösung der Mietkaufoption im gemeinnützigen Wohnungsbau. Viele Haushalte entscheiden sich dazu, weiter zu mieten anstatt ihre Wohnung zu erwerben, nicht zuletzt da die Mietbedingungen attraktiv sind. Nichtsdestotrotz zeigt der Anstieg an privater Miete in Haushalten mittleren Alters, dass es für eine steigende Zahl an Haushalten nicht genügend soziale Mietoptionen gibt. Denn in vielen Fällen bietet der soziale Wohnungsbau bessere Wohnbedingungen als der private Markt. Aber nicht alle haben gleichermaßen Zugang.

Die Idee einer gerechteren Vermögensverteilung durch die Förderung von Wohnungseigentum, die auch in regelmäßigen Abständen durch die österreichische Debatte geistert, ist im Vorzeigeland dieser Politik, nämlich England, trefflich gescheitert. Der englische Weg dorthin war der umfassende Abverkauf des sozialen Wohnungsbaus und die Ausweitung von Wohnungskrediten. Während Haushalte, die früh gekauft haben, von günstigen Sozialwohnungen profitieren konnten, sind heute die Wohnungspreise so hoch, dass der Einstieg in den Eigentumssektor jenen vorbehalten ist, die reiche Eltern haben und erben. Alle, die nicht im Eigentum wohnen, müssen sich auf einen deregulierten privaten Mietwohnungsmarkt verlassen, da der soziale Wohnungsbau umfangreich privatisiert wurde. Diese Haushalte haben weder Vermögen noch gute Wohnbedingungen. Was uns wieder zurückbringt zur Eingangs diskutierten Generation Miete. Insofern mag der Begriff dann doch auch Relevanz haben für Österreich. Als Ausdruck einer Wohnungspolitik, die man so besser nicht nachahmen sollte.


Autor:

Justin Kadi forscht und lehrt an der University of Cambridge zu den Themen Wohnungspolitik und soziale Ungleichheit.

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