Vor allem in den Großstädten sind steigende Mietpreise im Bestand und nochmals deutlicher bei der Wiedervermietung inzwischen zum Standard geworden. Vor allem Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen haben es in vielen Städten mittlerweile schwer, überhaupt einen Zugang zur Wohnungsversorgung zu finden. Rasant steigende Grundstückskosten führen insbesondere durch die vielen Verkäufe von bebauten Grundstücke zu einem Anstieg des Verwertungsdrucks. Vor allem private Wohnungsunternehmen und institutionelle Anleger bestimmen das Geschehen auf den Immobilienmärkten. Die steigenden Grundstückpreise stehen für sehr hohe Ertragserwartungen, die aus den bisherigen Mietpreisen nicht erwirtschaftet werden können. Die Verdrängung der Bestandsmieterinnen und -mieter wird vielerorts zur zentralen Strategie der Bewirtschaftung und ist in den gestiegenen Grundstückskosten bereits eingepreist.
Wohnkostenbelastung und Versorgungslücke
Eine Untersuchung der Wohnverhältnisse hat kürzlich für die 77 Großstädte Deutschlands mit mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner herausgefunden, dass fast vier von zehn Haushalten eine Mietkostenbelastung von mehr als 30 Prozent zu tragen haben (Holm u.a. 2017). Das sind 5,6 Mio. Haushalte, in denen über 8 Mio. Menschen leben. Für etwa 1,3 Mio. Haushalte bleibt nach dem Abzug der Miete sogar lediglich ein Resteinkommen, das unterhalb der Hartz-IV-Regelsätze liegt. Mit der von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung beauftragten Studie wurde erstmals in Deutschland das Prinzip der Leistbarkeit zum Ausgangspunkt einer Wohnungsmarktuntersuchung genutzt. Grundgedanke der Untersuchung war, dass kein Haushalt mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Miete ausgeben soll.
Eine erweiterte Analyse zu den sozialen Wohnversorgungspotentialen in den Großstädten kam zu dem Ergebnis, dass selbst bei optimaler Verteilung der Bestandswohnungen nach Größe und Mietpreis eine Versorgungslücke von fast zwei Mio. leistbaren Wohnungen besteht. Den größten Mangel gibt es mit knapp 1,4 Mio. Kleinstwohnungen für Alleinlebende mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze (weniger als 60 Prozent des Bundesmedianeinkommens) (Holm u.a. 2018). Die leistbaren Mietpreise bei diesen Haushalten liegen bei unter 5 €/m² (nettokalt).
Gründe für die Eskalation der Märkte
Die Gründe für die angespannte Versorgungssituation sind vielfältig. Während demografische Veränderungen wie eine höhere Lebenserwartung und ein fortlaufender Anstieg von Einpersonenhaushalten sowie eine ungebrochene Attraktivität der Großstädte für die Zuwanderung aus In- und Ausland zu einer deutlichen Erhöhung der Nachfrage führten, wurde in vielen Städte in der letzten Dekade zu wenig gebaut. Bundesweit wird von einer Wohnungsbaulücke in der Höhe von 540.000 Wohnungen ausgegangen (Prognos 2017: 18). Allein in der Hauptstadt Berlin wird bis 2030 ein Baubedarf von 194.000 Neubauwohnungen veranschlagt (Regiokontext 2018).
Die Marktreaktionen in angespannten Wohnungsmärkten können die Verdrängungsdynamiken im Bestand und die einseitige Orientierung auf Bauaktivitäten im Hochpreissegment nur zum Teil erklären. Die Finanzialisierung der Wohnungswirtschaft hat auch die Strukturen der Bauträger deutlich verändert. Statt langfristig kalkulierenden Wohnungsunternehmen dominieren zur Zeit Anlagemodelle aus dem Finanzsektor die Investitionen im Bereich der Wohnungsversorgung. Mit kurzfristigen und überhöhten Ertragserwartungen werden Mieterwartungen in die Höhe getrieben und Mietsteigerungsmöglichkeiten bis zum Maximum ausgereizt. In der Ökonomie der Ertragsoptimierung zeigt sich ein Grundproblem der marktwirtschaftlich organisierten Wohnungswirtschaft. Eine ökonomisch rationale Ausrichtung der Bewirtschaftungsstrategien wird immer nach mindestens durchschnittlichen Erträgen streben. Für die Erstellung von preisgünstigen und damit leistbaren Wohnungen für Haushalte mit geringen Einkommen gibt es keinen Marktanreiz. In der internationalen Wohnforschung wird deshalb auch von einem systematischen Marktversagen bei der Bereitstellung von leistbaren Wohnungen und einer „sozialen Blindheit des Marktes“ gesprochen (van Vliet 1990).
Hausgemachte Wohnungsnot
Eine dauerhafte Wohnversorgung zu leistbaren Mieten kann deshalb nur mit öffentlicher Verantwortung und in nicht-profitorientierten Strukturen erfolgen. Hier nun liegt die politische Verantwortung der aktuellen Wohnmisere in den deutschen Großstädten. Bund, Länder und auch Kommunen haben durch eine Politik der Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung in den letzten Dekaden wohlfahrtsstaatliche Elemente der Wohnungsversorgung weitgehend aufgelöst. Durch die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit im Jahr 1989 und einen schrittweisen Ausstieg aus der Wohnbauförderung sind von vormals über 4 Mio. geförderten Wohnungen nur mehr etwa 1 Mio. Mietpreis- und Belegungsbindungen geblieben. Bundesweit wurden mehr als 2 Mio. Wohnungen von öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften privatisiert. Da der modus operandi der Privatisierung auf Paketverkäufe von oft mehreren tausenden Wohnungen setzte, waren es vor allem institutionelle Anleger, die die vormals öffentlichen Wohnungsbestände erwarben. Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit und Privatisierung der öffentlichen Wohnungsbestände waren die Türöffner für die Finanzialisierung der Wohnungswirtschaft in Deutschland.
Die neue Wohnungsnot in vielen Großstädten in Deutschland ist vor allem hausgemacht. Die Länder und Kommunen haben ihre wohnungspolitischen Instrumente weitgehend aus den Händen gegeben und stehen den aktuellen Marktextasen relativ hilflos gegenüber. Im Schatten der Neoliberalisierung bricht nun die Wohnungsfrage wieder in die öffentliche Aufmerksamkeit.
Wege aus der Wohnungskrise – Neue Wohnungsgemeinnützigkeit (NWG)
Mit der neuen Sichtbarkeit der Wohnungsfrage erstarken inzwischen auch wieder die Stimmen, die eine staatliche und kommunale Verantwortung für die Wohnungsversorgung einfordern. Die Zeiten des Ausverkaufs – weil es Private angeblich besser können – und der investorenfreundlichen Politikgestaltung neigen sich zu Ende. Förderprogramme der Wohnraumförderung wurden wieder aufgestockt, mit der Mietpreisbremse gibt es einen (bisher leider zahnlosen) Versuch, die Normalität von immer steigenden Mieterträgen auch bei den Neuvermietungen einzuschränken, in vielen Städten werden verstärkt Milieuschutzsatzungen und Umwandlungsverordnungen erlassen, um Mieterinnen und Mieter besser vor Verdrängung zu schützen.
Darüber hinaus hat in den vergangenen Jahren auch wieder eine Diskussion über die Wiedereinführung der Gemeinnützigkeit im Bereich der Wohnungsversorgung begonnen. Unter dem Stichwort Neue Wohnungsgemeinnützigkeit (NWG) diskutieren Fachöffentlichkeit, Verbände und einzelne Parteien im Deutschen Bundestag über die Möglichkeiten einen nicht-profitorientierten Wohnungssektor zu stärken, um die Bereitstellung von dauerhaft leistbaren Wohnungen zu gewährleisten (Kuhnert/Leps 2016). Vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass ein von privaten Verwertungsinteressen geprägter Wohnungsmarkt mit der sozialen Wohnungsversorgung scheitern muss, weil es keine Marktanreize für einen leistbaren Wohnungsbau gibt, wird wieder verstärkt über Modelle einer gemeinwirtschaftlichen und gemeinnützigen Wohnungswirtschaft nachgedacht. Der Blick in die Niederlande und nach Österreich hilft dabei, die Bedingungen der Wohnungsgemeinnützigkeit ins 21. Jahrhundert zu übertragen.
Dr. Andrej Holm
Humbold Universität Berlin
Literatur:
Holm, Andrej; Junker, Stephan; Lebuhn, Henrik; Neitzel, Kevin 2017: Wohnverhältnisse in Deutschland – eine Analyse der sozialen Lage in 77 Großstädten. Bericht aus dem Forschungs-projekt der Hans-Böckler-Stiftung „Sozialer Wohnversorgungsbedarf“
Holm, Andrej; Lebuhn, Henrik; Junker, Stephan; Neitzel, Kevin 2018: Wie viele und welche Wohnungen fehlen in deutschen Großstädten? Working Paper Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, Nr. 63
Kuhnert, Jan, Leps Olof 2017: Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum. Wiesbaden: Springer VS
Prognos 2017: Wohnraumbedarf in Deutschland und den regionalen Wohnungsmärkten. Endbericht der Studie zum Wohnungsbautag 2017 im Auftrag des Verbändebündnisses Wohnungsbau
Regiokontext 2018: Entwicklung des Wohnungsbedarfs in Berlin. Orientierungsrahmen für den StEP Wohnen 2030. Analyse im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin
Vliet, Willem Van 1990: International Handbook of Housing Policies and Practices. New. New York: Greenwood Pub Group Inc.
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