Justin Kadi, Forschungsbereich Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik, TU Wien
Was sind die mittel- und langfristigen Auswirkungen der aktuellen Pandemie auf den Wohnungsmarkt? Wird die Coronakrise die vorherrschenden Trends am Wohnungsmarkt verändern? Oder wird sich die Situation von vor der Krise in absehbarer Zeit wiederherstellen?
Eines vorweg: Diese Fragen lassen sich aus heutiger Sicht seriös nicht beantworten. Bisher gibt es kaum belastbare Daten über die Entwicklung des Wohnungsmarkts seit Beginn der Pandemie. Valide Vergleichsdaten aus früheren Pandemien sind, zumindest im österreichischen Kontext, ebenfalls nicht verfügbar. Darüber hinaus ist auch völlig unklar, wie lange die Krise noch dauert. Die Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt werden aber nicht zuletzt davon abhängen.
Einige Dinge lassen sich allerdings bereits heute sagen: Was rasch nach Ausbruch der Krankheitswelle zu beobachten war, war eine Verzögerung aktueller Bauprojekte aufgrund von Lieferengpässen und notwendigen Schutzmaßnahmen der Arbeiternehmer. In der Wohnungsvermittlung wurden Besichtigungen stark eingeschränkt und neue Möglichkeiten der Videobesichtigung eingeführt. Anfang April wurden außerdem Schutzmaßnahmen für MieterInnen erlassen: Das 2. Covid-19-Justizbegleitgesetz sieht die Möglichkeit einer Stundung der Miete für den Zeitraum von 1. April bis 30. Juni vor. Mietschulden können bis Jahresende beglichen werden. Die Regelung hat reichlich Kritik von Mietervertretern hervorgerufen. So können Mieten zwar gestundet werden, müssen allerdings bis Jahresende zurückgezahlt werden, inklusive saftiger Verzugszinsen von 4%. Auslaufende Befristungen können ebenfalls einmalig bis Jahresende verlängert werden. Darauf besteht von Seiten der Mieter allerdings kein Anrecht. Man ist von der Zustimmung des Vermieters abhängig.
Für die mittelfristige Entwicklung der Wohnsituation wird es zentral sein, wie mit Mietrückständen und Zahlungsschwierigkeiten rechtlich umgegangen wird. Schon jetzt gibt es in Österreich Rekordarbeitslosigkeit und eine hohe Zahl an Menschen in Kurzarbeit mit entsprechend geringeren Lohneinkommen. Wirtschaftsforscher prognostizieren, dass sich die Situation am Arbeitsmarkt auch nicht so schnell entspannen wird. Viele Mieter werden vor der Herausforderung stehen, dass sie in den nächsten Monaten ihre Miete – den größten Ausgabeposten der meisten Haushalte – nicht zahlen können. Dabei helfen Stundungen wenig, da die regelmäßigen Einkünfte für längere Zeit ausbleiben werden bzw. nicht in doppelter Höhe zur Rückzahlung früherer Mieten einsetzen werden. Sofern hier von rechtlicher Seite keine Lösungen entwickelt werden, droht ein rasanter Anstieg von Leistbarkeitsproblemen, Zwangsräumungen und Wohnungslosigkeit.
Eine andere Frage wird sein, wie die Pandemie die räumlichen Muster der Nachfrage beeinflusst. Das in den letzten Tagen von manchen Kommentatoren vorgebrachte Argument ist, dass die Angst vor Ansteckung und der größere Flächenbedarf aufgrund von Homeoffice mittelfristig zu einer Verschiebung der Nachfragepräferenz vom innenstadtnahen Wohnen in periphere Lagen führen wird und sich damit auch der Nachfragedruck in den Städten verringern wird. Inwiefern das tatsächlich in einem für die Wohnungspreise relevanten Ausmaß eine Rolle spielen wird ist fraglich. Zu bedenken ist auch, dass die Nachfrageverlagerung von Mittelklassehaushalten in Stadtrandlagen aufgrund hoher Wohnungspreise in der Stadt schon länger Realität ist (z.B. von Wien ins Tullnerfeld). Möglicherweise wird dieser Trend durch die Pandemie aber noch einmal verstärkt.
Eine dritte zentrale Frage wird die Entwicklung des Zinsniveaus betreffen. Die niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt haben in den letzten Jahren zu einer verstärkten Aktivität privater Investoren und Haushalte am Wohnungsmarkt geführt. Das wurde insbesondere dadurch befeuert, dass Renditen im Immobiliensektor im Vergleich zu anderen Anlageklassen wie Aktien oder Anleihen hoch waren. Das zusätzliche Kapital hat dabei die Ertragserwartungen erhöht und zum Anstieg der Wohnungspreise beigetragen, insbesondere in städtischen Wohnungsmärkten mit hohem Nachfragedruck wie Wien. Bis dato ist eine Erhöhung des Zinsniveaus im Kontext der Pandemie nicht absehbar, womit sich hier, zumindest aus heutiger Sicht, keine strukturelle Änderung andeutet.
Definitivere Aussagen über diese Fragen werden erst mit weiterer Entwicklung der Krise möglich sein. Was die Pandemie allerdings schon offen gelegt hat ist die bestehende Ungleichheit der Wohnsituation. Die Ausgangsbeschränkungen haben viele Menschen in den letzten Wochen dazu gezwungen mehr Zeit zuhause zu verbringen. Die Bedingungen, unter denen Menschen diese Situation zu bewältigen hatten, unterscheiden sich allerdings stark.
In Österreich lässt sich das mit einem statistischen Wohnproblemindex verdeutlichen. Der Index, basierend auf den Umfragedaten des European Income and Living Conditions Survey (EU-SILC) 2018, umfasst sowohl Probleme in der Wohnungsausstattung (Feuchtigkeit, Schimmel, Dunkle Räume, Überbelag), als auch Probleme in der Wohnumgebung (Lärm, Luft- Umweltverschmutzung, Kriminalität und Vandalismus). Er reicht von 0-100, wobei Wohnprobleme mit steigendem Wert zunehmen. Der Wert lässt sich als Wahrscheinlichkeit interpretieren, dass eine soziale Gruppe von Wohnproblemen betroffen ist.
Abbildung 1: Wohnproblemindex für unterschiedliche soziale Gruppen in Österreich 2018
Die Grafik zeigt, dass das Risiko, in Österreich von Wohnproblemen betroffen zu sein insgesamt moderat ist (9,7). In fast allen ausgewerteten sozialen Differenzierungen zeigt sich allerdings ungleiche Betroffenheit. Besonders betroffen sind Menschen in städtischen Agglomerationen, insbesondere Wien, Menschen mit Nicht-EU Staatsbürgerschaft und Menschen mit geringem Einkommen bzw. materieller Deprivation.[1] Die Wohnungspolitik sollte hier Sorge tragen, dass bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten durch ungleiche Versorgung am Wohnungsmarkt nicht zusätzlich verstärkt werden. Diesbezüglich besteht schon heute akuter Handlungsbedarf.
[1] Für weitere methodische Details und detailliertere Auswertungsergebnisse siehe: https://urbanizm.net/4890953/die-ungleiche-verteilung-der-wohnprobleme-in-oesterreich/